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Adipositas – Wenn Übergewicht krank macht

Bericht vom Gesundheitsforum Ehingen am 09. Januar 2019

Mit einer eindrucksvollen Zahl machte Nasifoglu die Bedeutung des Themas gleich zu Beginn klar. Weltweit seien 2018 2,8 Millionen Menschen an den Folgen ihres Übergewichts verstorben. Deshalb sei es so wichtig, die chronische Krankheit Adipositas zu behandeln und die damit verbundenen Folgekrankheiten zu bessern oder auszuschalten.
 
Adipositas – davon sprechen Mediziner, wenn der BMI einen Wert von über 30 erreicht. Bei einem 1,80m großen Mann ist dies ab 97,2 kg der Fall, bei einer 1,65m großen Frau ab 81,7 kg. Ab diesem Wert steigt das Risiko für Folgeerkrankungen – mit zunehmendem BMI immer deutlicher. Dazu zählen u.a. Bluthochdruck, Gefäß- und in der Folge auch Organschäden, Diabetes, Gelenkverschleiß, aber auch ein höheres Risiko für bösartige Erkrankungen und Unfruchtbarkeit können die Folge sein. Mindestens genauso schwer wiegen die seelischen Verletzungen, denn 40% der stark Übergewichtigen berichten von selbst erlebten negativen Reaktionen in ihrem Umfeld oder auch von völlig fremden Menschen. Der Leidensdruck ist bei vielen hoch, doch wie kann geholfen werden?
 
Zunächst, das machten beide Referenten deutlich, sei es wichtig, anzuerkennen, dass das Übergewicht ab einem BMI von 30 eine chronische Krankheit ist. Sie müsse genauso behandelt werden, wie andere chronische Krankheiten auch. Chronisch bedeute, dass es nicht damit getan sei, kurzfristig Maßnahmen durchzuführen und dann wieder alles wie gewohnt zu machen.
 
Zwar wisse man heute, dass bei 70% der Betroffenen eine genetische Beeinflussung vorliege, aber da hier mehrere Gene direkt und indirekt wirken und man zumindest derzeit noch keinen Behandlungsansatz aus diesem Bereich habe, gelte es, sich den Faktoren zu widmen, die man auch beeinflussen könne.
Stoffwechselstörungen spielten nur bei einem kleinen Teil der Betroffenen eine wesentliche Rolle, daher sei vor allem das Thema Bewegung und Essen von zentraler Bedeutung.
Der Körper ist zum Bewegen gemacht. Nach Angaben der WHO ist Bewegungsmangel heute eines der größten Gesundheitsprobleme überhaupt. Dabei könne man bereits mit 30 Minuten täglich sehr viel erreichen. „Dabei reicht es, wenn man schnauft, die Brühe muss einem noch nicht herunterlaufen“ so Dr. Krauss. Regelmäßigkeit sei dabei wichtig, außer bei Blitzeis und Orkan könne man bei jedem Wetter draußen Sport machen, so die erfahrene Ernährungsmedizinerin. Wichtig sei, die 30 Minuten ohne Pause zu absolvieren, deshalb zähle Hausarbeit nicht dazu.
Seit Mitte der 60er Jahre habe die tägliche Kalorienzufuhr im Durchschnitt in Deutschland um 600 kcal zugenommen. Um dies auszugleichen, müsse man täglich eine Stunde stramm walken. Da dies aber die wenigsten machen, sei das Übergewicht in der Gesellschaft in dieser Zeit stark angewachsen. Bereits 15% der Jugendlichen haben einen deutlich zu hohen BMI.
Der in vielen Fertigprodukten versteckte Zucker führe, so Nasifoglu, zu einer Art Zuckersucht. Diese habe häufig einen erhöhten Konsum zur Folge. Mit jeder Zuckergabe steige das Insulin im Blut, in den folgenden Stunden sei der Fettabbau gebremst. Und durch den dann wieder abfallenden Zuckerspiegel steige die Lust auf Süßes sofort wieder.
Ein Problem seien vor allem die freien Zucker. Darunter versteht man zugesetzten Zucker, wie er in Fertiggerichten, Süßgetränken und Süßigkeiten zu finden ist. Maximal 10 Prozent der Kalorienaufnahme sollten aus diesen freien Zuckern bestehen. Im Durchschnitt entspreche dies 16 Würfelzuckerstücken am Tag. Wer nun glaubt, dies sei viel, sollte mal die Nähwertetiketten im Supermarkt studieren. Denn bereits mit 750 ml Apfelsaftschorle ist die maximale Tagesdosis erreicht. „Die 10 Prozent Empfehlung ist mit verarbeiteten Lebensmitteln nahezu nicht hinzubekommen“ so Krauss. Sie empfahl, selbst zu kochen und dabei bewusst die Lebensmittel auszusuchen, die wenig zugesetzten Zucker enthalten.
Dies erfordere Eigeninitiative und viel Arbeit von den Betroffenen – das machten beide Referenten mehrfach deutlich. Es gehe in der Ernährungsmedizin nicht um Verbote, wohl aber um die Wahl zwischen günstigen und eher ungünstigen Alternativen.
In der konservativen Behandlung setze man heute auf eine Kombination aus Ernährungs- und Bewegungstherapie, bei Bedarf unterstützt durch psychologische Begleitung und in wenigen Fällen durch Medikamente. Ab einem gewissen Grad an Übergewicht kann durch konservative Behandlung keine wesentliche Gewichtsabnahme mehr erzielt werden. „Das Ziel ist die Nicht-Zunahme und wenn es innerhalb eines Jahres zu 5-10% Gewichtsabnahme kommt, dann ist das ein großer Erfolg“ so Dr. Krauss. Eine Person mit einem Anfangsgewicht von 150 kg käme so im günstigsten Fall auf 135 kg. Lohnt sich dafür der ganze Aufwand? „Auf jeden Fall“ ist sich die Medizinerin sicher. „Optisch sieht man da noch nicht wirklich viel, aber diese 10-15 Kilo machen bei den Begleiterkrankungen sehr viel aus. Für die Gesundheit kann man dabei viel erreichen.“ Krauss machte deutlich, dass es immer um individuelle Lösungen für jeden Patienten gehe. Die unterschiedliche Kostenerstattung durch die Krankenkassen stellt für viele Patienten eine große Einschränkung dar und macht eine einheitliche Betreuung derzeit kaum möglich.
Nasifoglu ging kurz auf die chirurgischen Möglichkeiten von Schlauchmagen, über Magen Bypass und Omega Bypass ein. Eine OP eröffne zwar die Chance, innerhalb von 2 Jahren 40 bis 80 Kilo zu verlieren, sie sei aber keineswegs der einfache Weg. Die ersten zwei Jahre seien kein Zuckerschlecken, das machte auch eine erst kürzlich operierte Patientin deutlich. Man müsse erst mal lernen, dass man nur noch ganz minimale Mengen essen könne. Handle man gegen die ärztlichen Empfehlungen, bestrafe einen der Körper sofort durch Schmerzen oder Erbrechen. Sie wie auch eine schön länger operierte Patientin machten aber auch deutlich, dass es viel Arbeit, Disziplin und Einschränkungen erfordere, dass sie die OP aber keineswegs bereuten. Eine Patientin berichtete, wie sie 65-70 Kilo verlor und heute ein vollkommen anderes Leben lebe.
Man müsse genau abwägen, für wen dieser Weg der richtige sei, machte Nasifoglu deutlich. Insbesondere, wenn bereits Folge­erkrankungen eingetreten sein, sei dies oft die einzige Möglichkeit, zumal die bariatrischen Operationen gerade bei Diabetes gute Erfolge ermöglichen. Es bedürfe in jedem Fall aber einer intensiven Vorbereitung.
Zum Ende des Vortrags gab es noch viele alltagstaugliche Tipps. So solle auf Diäten verzichtet werden, da diese mehr schaden als langfristig nutzen. Die Änderung der Lebensweise solle schrittweise erfolgen, so könne man auch den inneren Schweinehund im Zaum halten. Die Devise sei: weniger Zucker und Fertigprodukte, dafür mehr Ballaststoffe, mehr gute Fette und mehr Omega 3 Fettsäuren. Mehr Fisch und weniger Fleisch und vor allem mehr Bewegung – das seien weitere wichtige Säulen eines bewussten und gesunden Lebensstils.  
Dr. Krauss und Herr Nasifoglu machten an diesem Abend nicht zuletzt durch ihren gemeinsam gehaltenen Vortrag deutlich, dass nicht einer die Probleme stark übergewichtiger Patienten lösen könne. Dafür benötige es ein breites Netzwerk an Experten. Beratung und Unterstützung finden Patienten seit Kurzem im neu gegründeten Adipositas Netzwerk Alb-Donau.
Die zahlreichen Fragen machten deutlich, dass ein hoher Leidensdruck bei den Betroffenen vorliegt, sie zeigten gleichzeitig aber auch, dass das Wissen über gesunde Ernährung keineswegs selbstverständlich ist.