News

Bericht vom Gesundheitsforum Ehingen am 8. Oktober 2014

Gibt es eine Sturzkrankheit?

Aus Unachtsamkeit stolpern oder stürzen – das kann jedem mal passieren, oder? Wir sind nicht richtig bei der Sache und denken oder tun gerade etwas anderes – und schon ist es geschehen.
90% der Stürze passieren übrigens in ganz alltäglichen Situationen – bei Kindern und Sportlern durch erhöhte Risikobereitschaft natürlich häufiger – zum Glück meist ohne schlimmere Folgen.

Im höheren Alter nimmt mit der Abnahme der körperlichen Aktivität das Sturzrisiko zu – begünstigt durch den  Verlust von Muskelkraft und längeren Reaktionszeiten. Sind die Knochen zusätzlich durch Osteoporose geschwächt und fällt der Betroffene direkt auf die Hüfte, kann es zu schwerwiegenden Sturzfolgen, z.B. zu einem Oberschenkelhalsbruch kommen. Meist ist die in diesem Fall notwendige Operation nicht das Problem, sondern der anhaltend reduzierter Funktionszustand der betroffenen Person in der Folgezeit. Hilfsbedürftigkeit beim An- und Auskleiden oder der Verlust der Steh- und Gehfähigkeit sind hier die eigentliche Bedrohung. Durch eine geeignete Rehabilitation  kann heute jedoch in 70-80% der Fälle wieder der Funktionszustand vor der OP erreicht werden. Dabei werden zur Sturzprävention im Rahmen eines geriatrischen Assessments auch verschiedene Tests durchgeführt, anhand derer das individuelle Sturzrisiko festgestellt und entsprechende therapeutische Maßnahmen eingeleitet werden können.

Ältere Menschen stürzen oft nachts in der eigenen Wohnung – typischerweise beim dringenden Gang zur Toilette. Das kann schon beim Wechsel von der sitzenden in die stehende Position – beim so genannten Sitz-Stand-Transfer – passieren, nämlich dann, wenn das Gleichgewichtsempfinden gestört ist. Oder aber beim Gehen, wenn durch Müdigkeit, ungeeignetes Schuhwerk, eingeschränkte Sehfähigkeit oder Beweglichkeit der Weg zum WC im wahrsten Sinne des Wortes zur Stolperfalle wird. Gibt es in der häuslichen Umgebung erhöhte Türschwellen, unebene Teppichkanten, schlechte Beleuchtung, fehlende Handläufe oder am Boden liegende Kabel, können auch diese Bedingungen einen Sturz verursachen, mindestens aber begünstigen.

Wenn zu den altersbedingten Veränderungen krankheitsbedingte Ursachen hinzukommen, nimmt die Sturzgefahr noch weiter zu. Das trifft insbesondere auf Menschen mit Parkinson-Syndrom, Gangstörungen, Lähmungen nach Schlaganfall oder Arthrose zu. Wer durch eine Erkrankung längere Zeit im Bett bleiben muss, verliert an Muskelkraft –  und das erstaunlich schnell. Schon 2-3 Wochen Bettlägerigkeit führen zu einem Muskelabbau von 20-30%! Aber auch Psychopharmaka oder eingeschränkte kognitive Fähigkeiten, beispielsweise infolge dementieller Erkrankungen, haben – insbesondere im Alter –  Auswirkungen auf die Gangsicherheit.

Stürze sind demnach im Wesentlichen auf drei Faktoren zurückzuführen – auf die Person selbst, eine unangepasste Umgebung und eine individuelle Grenzüberschreitung, d.h. man traut sich mehr zu, als man aus eigenem Antrieb kontrollieren kann.

An diesen Faktoren muss die Sturzvermeidung ansetzen.
Relativ einfach beeinflussbar ist dabei die Umgebung. Durch eine konsequente Beseitigung der Stolperfallen, das Anbringen von Haltegriffen und das Tragen geeigneten Schuhwerks sowie gut abgestimmter Sehhilfen ist schon ein guter Schritt in die richtige Richtung getan. Vorsicht auch bei Gleitsichtbrillen – sie erschweren das Erkennen von Übergängen, was besonders beim Treppensteigen eine Rolle spielen kann.

Grunderkrankungen, unklare Gangstörungen oder auch die Angst vor erneuten Stürzen bekommt man nicht alleine in den Griff. Hier ist professionelle Hilfe gefragt. Dies umfasst neben der fachärztlichen Begleitung immer auch geeignete körperliche Trainingsprogramme in der Hand erfahrener Therapeuten. Schwindende Muskelkraft, die Balance und die Koordination lassen sich trainieren – und bereits mit regelmäßigen täglichen Übungen können diese für die Mobilität wichtigen Grundfähigkeiten nachweislich und nachhaltig um ein Vielfaches gesteigert werden. Natürlich erfordert dies auch ein bisschen Disziplin beim eigenen Verhalten.

Insbesondere gilt: Wer nach Stürzen seine körperliche Aktivität aus Angst vor weiteren Stürzen  vernachlässigt, beschleunigt den körperlichen Abbau durch Verlust an Muskelmasse und damit seine Mobilität – letztlich mit der Folge weiterer gehäufter Stürze. Diesen Teufelskreislauf gilt es unbedingt zu vermeiden und das Selbstvertrauen der Betroffenen trotz geschehener Stürze aufrechtzuerhalten. Körperliche Aktivität ist also ohne Alternative. Betroffene Menschen sollten trotz der Stürze Außenaktivitäten wie Spaziergänge und Einkäufe so lange wie möglich beibehalten.

Auch die medikamentöse Therapie der Osteoporose ist ein wichtiger Baustein bei der Vermeidung sturzbedingter Knochenbrüche. Dabei spielt auch eine an Calcium reiche Ernährung eine wichtige  Rolle. Und in Verbindung mit Sonnenlicht verbessert Vitamin D die zum Knochenaufbau notwendige Aufnahme von Calicum. Vitamin D verbessert schließlich auch das Gleichgewichtsempfinden durch ein verbessertes Zusammenspiel von Nervensystem und Muskulatur. Wissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass alleine mit Vitamin D in einer Tagesdosis von 800-1000 I.E. das Sturzrisiko um mehr als 20 % verringert werden kann.

Ungern getragen, aber ausgesprochen wirkungsvoll sind Hüftprotektoren, die im Falle eines Sturzes 90% der Sturzenergie auffangen können.

Gibt es nun eine Sturzkrankheit? „Der Sturz hat in seinen Auswirkungen für das Gesundheitssystem die Dimension einer Volkskrankheit, ist aber als ein Symptom zu begreifen, dessen Ursache zahlreiche Krankheiten und Alterungsprozesse einschließt. Jeder Sturzpatient benötigt daher eine individuelle diagnostische Abklärung und individuelle Therapie“, so Dr. Jamour, der im Anschluss an seinen Vortrag gerne die interessierten Fragen der Zuhörerinnen und Zuhörer beantwortete.